Ein Plädoyer für die Melancholie

Glück ist ein mächtiges Wort. Die Erwartungshaltung, die die Gesellschaft an dieses Wort stellt, ist grenzenlos. Die Werbung gaukelt uns das Glück täglich vor. Wohin man sieht, begegnet man glücklichen Gesichtern. Sie lachen von Plakatwänden, aus dem Fernseher oder aus Zeitschriften. Ja die mediale Beschallung macht es beinahe zur Pflicht, glücklich zu sein. Man könnte schon von einer Glückshysterie sprechen. Deshalb begeben sich immer mehr Menschen wie einst Indianer Jones auf die Suche nach dem heiligen Gral – auf die Suche nach dem Glück. Denn unglücklich sein passt nicht zum perfekten Leben. Und genau daraus entsteht ein gesellschaftlicher Druck, durch den Menschen schon allein deshalb unglücklich werden, weil sie im Moment das Glück nicht erreichen können. Ein Teufelskreis beginnt.

Das Problem liegt allerdings nicht im nicht vorhandenen Glück, sondern im Fehlen der Balance zwischen Glück und Unglück. Denn es ist uns von Natur aus nicht möglich, ständig im Glück zu leben. Deshalb ist es entscheidend ein Gleichgewicht zwischen den Polen zu finden. Doch wie können wir dieses Gleichgewicht herstellen?

Melancholie und Traurigkeit sind normale Gefühle

„Hallo, mein Name ist Karl und ich bin Melancholiker.“ Diesen Satz möchte ich loswerden dürfen und zwar frei von der Leber weg. Auch wenn die Melancholie momentan nicht gerade in ist, so hat sie doch Ihren Nutzen in unserem Dasein, denn es ist nicht möglich, ständig glücklich zu sein. Es verhält sich gleich wie beim Genuss. Denn ohne Verzicht gäbe es keinen Genuss. Oder möchten Sie jeden Tag Wiener Schnitzel zu Mittag essen? Eben – und ständiges positives Denken und die Suche nach dem Glück ist auf Dauer auch zu anstrengend. Der Körper muss sich vom Glück auch mal erholen dürfen.

Denn die Traurigkeit und die Melancholie haben einen fixen Platz in unserem Leben. Ohne diese wäre das Glück überhaupt nicht möglich. Denn wie sollten wir wissen, wann wir glücklich sind, wenn wir den Zustand der Traurigkeit nicht kennen würden? Glück und Unglück gehören zum Leben wie Tag und Nacht oder Sonne und Regen. Wir brauchen beide Pole, um ein erfülltes Leben führen zu können. Ständiges Glück ist eine Illusion und die ständige Suche danach deshalb hinfällig.

Wie die kreative Kraft und gesunde Seite der normalen Traurigkeit nützt

Burnout und Depression – diese beiden Begriffe sind momentan in aller Munde. Und ja, wenn die Traurigkeit zu einem chronischen Dauerzustand wird, dann muss man sich professionelle Hilfe suchen. Doch nicht jede Traurigkeit ist gleich eine Depression. Nein, wir sollten der Traurigkeit den Platz geben, den sie verdient. Denn unser Geist muss sich vielleicht erholen von einem Verlust, von einem nicht realisierten Wunsch oder einfach vom schlechten Wetter. Nutze die Zeit und gib Deinem Körper und Geist was er braucht. Denn Melancholie bedeutet nicht nur Schmerz.

Nein, es ist auch eine Antriebsfeder für Veränderung. Sie bringt uns zum Nachdenken. Die Traurigkeit ist auch das schürende Feuer der Sensibilität. Wir werden einfühlsamer und können besser auf andere Menschen eingehen. Die Gedanken kommen in Schwung und somit auch unsere Kreativität. Viele große Künstler waren Melancholiker – wie trist wäre doch die Welt ohne diese. Wie viele Gedichte und Bücher wären nicht geschrieben worden, wie viele Gemälde nicht gemalt und wie viele wunderschöne Melodien wären nicht geschrieben worden. Viele neue Ideen entstehen erst durch die Melancholie. Sie kann der Beginn einer positiven Veränderung sein.

Ein Plädoyer für die Traurigkeit

Nimm Dir Raum und Zeit für die Traurigkeit und nützen diese für Reflexion. Vielleicht möchtest Du in Ihrem Leben etwas ändern? Oder handelt es sich um einen unerklärlichen Weltschmerz? Auch diesen kannst Du mit ruhigem Gewissen zulassen, denn die Melancholie ist unser Freund. Nütze die Gelegenheit zum Schreiben oder zum Malen und verleih Deinen Gefühlen Ausdruck. Betrachte die Melancholie als eine wunderbare Eigenschaft voller Tiefe, innerer Kreativität und Stille. Nimm die Traurigkeit, wie sie kommt, lerne daraus und befreie Dich vom sozialen Zwang des Glücks! Denn nach der Traurigkeit kommt die Heiterkeit – ganz bestimmt.

Wie gehst Du mit der Traurigkeit um? Ich würde wirklich gern erfahren, was Du über den Artikel denkst, und freue mich über Deinen Kommentar.

Liebe Grüße

Karl

 

 

 

 

Karl
Photo = unsplash.com

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Über Karl

Hi, ich bin Karl Allmer. Als zertifizierter Fachtrainer, diplomierter Resilienztrainer und selbstständiger Unternehmer bin ich ein Spezialist in den Bereichen Stressbewältigung und Resilienz. Seit 2014 unterstütze ich Menschen mit Methoden der Stressbewältigung und Techniken aus dem Resilienztraining dabei, Ihre persönliche Widerstandsfähigkeit zu stärken.

4 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Irm Lind am 14. November 2018 um 9:53

    Lieber Karl,
    gibt’s diesen Blog überhaupt noch?

    Ich hab eben grad diesen Beitrag über Melancholie gefunden und bin sehr dankbar dafür!
    Ich hab grad eine Brust OP hinter mir. Alles ist „gut gegangen“ – es wurde „nur“ ein gutartiges Gewächs entfernt. Ich hab kaum Schmerzen. Ich hab also viel Glück gehabt…
    Gleichzeitig fühl ich mich aufgeschnitten, verletzt, traurig… ich bin nicht mehr die, die ich war – nona, ich veränder mich andauernd…
    Die Tränen kullern grad nur so aus meinen Augen. Und ich lass sie kullern… es tut mir gut. Ich hab mir Zeit genommen für mein Heil werden, hab viel Zeit zum nachdenken – auch das tut mir gut. Auch wenn vieles an die Oberfläche schwimmt, was ich nur ungern anschaue. Das ist nicht nur angenehm. Aber ich weiß, dass alles richtig ist, so wie es jetzt ist.
    Erst gestern hatte ich plötzlich das Gefühl, dass es nicht richtig ist. Eine Freundin hielt meine Traurigkeit nicht aus und versuchte mich zum „Glücklichsein“ zu überreden…..
    Es ist noch zu früh. Es geht noch nicht.
    Es wird auch wieder anders, das weiß ich. Aber ich brauch noch Zeit…

    Da fand ich diese Zeilen. Ich bin sehr dankbar dafür!! Du schreibst mir aus der Seele. Das wollte ich dir schreiben.

    DANKE!!
    Irmlind / Oberösterreich

    • Veröffentlicht von Lebenskünstler am 14. November 2018 um 23:25

      Liebe Irmlind,
      ja Danke meinen Blog gibt es noch;-).
      Herzlichen Dank für deine Zeilen und deine offenen Worte. So viel Ehrlichkeit braucht Mut. Lass dich nicht Hetzen – auch für dich geht es bald wieder bergauf. Denn nach jedem Regen kommt irgendwann der Sonnenschein. In der Zwischenzeit wünsche dir viel Kraft für die schwierige Zeit. Bis dahin! Liebe Grüße Karl

  2. Veröffentlicht von Mischa am 6. September 2015 um 13:52

    Hi Karl,

    ein wunderschöner Artikel, vielen Dank dafür!

    Du beschreibst es perfekt: Du kannst nur glücklich sein, wenn du auch Trauer zulässt. In jedem anderen Fall wird so ein dauerhaftes „ich muss irgendwie gut drauf sein“ draus, das letztlich in einer Gefühlsneutralisierung nach oben und unten mündet.

    Ich sehe es inzwischen auch so – früher konnte ich Trauer und Traurigkeit sehr schwer zulassen -, dass diese Momente ein super Fingerzeig sind, um mal genauer hinzuschauen, was einen eigentlich gerade bewegt oder was vielleicht schief läuft im Leben. Oder eben mal ein paar Stunden sich der Melancholie so richtig schön hinzugeben incl. der passenden Musik (du kennst ja als Österreicher bestimmt auch „Überdosis Gfühl“ von STS?).

    Ach und überhaupt passt das Thema so wunderschön zu dem Herbst, der schon an die Türe klopft (bei euch in Spanien wahrscheinlich noch nicht).

    Liebe Grüße
    Mischa

    • Veröffentlicht von Lebenskünstler am 6. September 2015 um 17:12

      Hi Mischa,
      herzlichen Dank für Dein Kompliment und für Deine Erfahrungen – Du beschreibst es sehr gut – hinschauen statt wegschauen. Deine Liedempfehlung finde ich super; „Überdosis Gfühl“ ist einer meiner Lieblingslieder, dicht gefolgt von „Irgendwann bleib I dann dort“. Und ja auch in Spanien hat der Herbst Einzug gehalten. 28 C ;-). Es bleibt trotz besten Wetter etwas Zeit für eine Portion Melancholie. Alles Gute nach Deutschland. Liebe Grüße Karl

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